Kommunale Sektorkopplung – Regional gestaltete Energiewende
Am Horizont dreht sich ein Windrad, eine Photovoltaikanlage auf dem Dach versorgt die Grundschule mit Strom, die Wärmepumpe arbeitet im Keller eines Mehrfamilienhauses und das Carsharing-Elektroauto lädt an der Ladesäule in der Straße. Die örtliche Deponieanlage beheizt das Schwimmbad, die Tankstelle am Kreisel verkauft erneuerbare Kraftstoffe und beim Bauern von nebenan erblicken wir eine Biogasanlage – so oder so ähnlich könnte in Kommunen zukünftig eine dezentrale, flexible und erneuerbare Energieversorgung aussehen. Wie das funktionieren kann? Die Kommune ersetzt fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas durch erneuerbar produzierten Strom – somit könnten auch bisher stark von nicht-erneuerbaren Energieträgern abhängige Bereiche wie Wärme und Mobilität klimaneutral werden.
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg – Erzeugungs- und Speicheranlagen sowie die notwendige Infrastruktur müssen gebaut werden, u.a. Unternehmen, Krankenhäuser, Schulen und Bürger:innen Teil des Transformationsprozesses sein, politische und gesellschaftliche Mehrheiten gewonnen werden und vieles mehr. Die dezentrale Energiewende ist eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der die gesamte Region an einem Strang zieht. Der Kommune kommt dabei mit Blick auf die Koordination eine Schlüsselrolle zu. Als Akteurin tritt sie in vier Rollen (Kern et al. 2005) auf die Bühne der Energiewende: Erstens kann sie Vorbild sein, zweitens stellt sie selbst Energie bereit und verbraucht Energie, drittens plant sie die Infrastruktur und kann (fördernde) rechtliche Rahmenbedingungen schaffen. Viertens tritt sie in einen partnerschaftlichen Dialog mit Menschen und Institutionen im Veränderungsprozess, berät diese vor Ort oder vermittelt Förderprogramme, greift Fragen und Ideen auf, ist selbst Ideengeberin, erklärt technische und soziale Innovationen verständlich, entwickelt diese partizipativ (weiter) und nimmt selbstverständlich auch Vorbehalte ernst. Ob Improvisation oder festgeschriebene Dramaturgie, die Kommune muss bei diesem Prozess auf äußere Faktoren reagieren und flexibel auf die Eindrücke und Präferenzen der Beteiligten vor Ort eingehen.
Interdisziplinäres Verbundprojekt zur Sektorkopplung
Genau an diesem Punkt setzt das Verbundvorhaben „Die Zukunft der Sektorkopplung auf kommunaler Ebene – gemeinsam gestalten, bewerten und handeln“ (ZuSkE) an, das mit einer Laufzeit von Oktober 2020 bis November 2023 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird. Wie können Kommunen eine Sektorkopplungsstrategie entwickeln? Und wie kann dieser Prozess mit innovativen Kommunikationstools unterstützt werden? Diesen und weiteren Fragen widmet sich ein interdisziplinäres Team mit energietechnischen und -wirtschaftlichen sowie sozial- und kommunikationswissenschaftlichen Kompetenzen im Projekt.
Autor:innen
Lisa Schmieder ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe "Soziotechnische Energiezukünfte" am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Seit knapp 9 Jahren forscht sie transdisziplinär zu sozialwissenschaftlichen Fragestellungen der Energiewende.
Daniela Wohlschlager ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Ressourcen und Klimaschutz bei der Forschungsstelle für Energiewirtschaft in München und Doktorandin an der Technischen Universität München..
Martin Burwitz
Martin Burwitz ist als Projektmanager bei der zivilgesellschaftlichen Plattform "Forschungswende" tätig. Der Politikwissenschaftler und angehende Non-Profit-Manager arbeitet bereits seit über 15 Jahren in und mit der sowie für die Zivilgesellschaft.
Kommunale Sektorkopplung
Sektorkopplung bezeichnet die sozio-technischen Optionen zur Dekarbonisierung von Endenergiesektoren (Haushalte, Verkehr, Industrie, Gewerbe) durch die Nutzung von überwiegend erneuerbar produziertem Strom. Aus Klimaschutzperspektive sollen Treibhausgase über die Substitution von fossilen Energieträgern minimiert werden. Aus Energiesystemperspektive sollen Flexibilität und Systemdienlichkeit für eine bessere Integration fluktuierender erneuerbarer Energien erhöht werden.
Die Kommunale Ebene umfasst die politische, administrative und/oder unternehmerische Funktion von Sektorkopplung im Zusammenspiel mit weiteren Beteiligten vor Ort und den lokalen Rahmenbedingungen (z.B. Regularien, Energieversorgungsstrukturen, Geographie). Die Kommune kann dabei unterschiedliche Rollen haben: „Verbraucherin und Vorbild“, „Planerin und Reguliererin“, „Versorgerin und Anbieterin“ sowie „Beraterin und Promotorin“ (Kern et al. 2005).
Die Forschenden entwickeln in Zusammenarbeit mit den Kommunen Berlin, Freilassing in Bayern und Walldorf in Baden-Württemberg sowie mit breiter Beteiligung zahlreicher Beteiligter vor Ort kommunale Sektorkopplungsstrategien. Um diesen Entwicklungsprozess in den Kommunen zu unterstützen, erarbeitet das Team eine Stakeholderanalyse in den drei Modellkommunen (Dialogik, Stuttgart), entwickelt eine nutzer:innenzentrierte Webanwendung (Forschungsstelle für Energiewirtschaft, München) sowie ein partizipativ angelegtes, haptisches Kommunikationstool, die sogenannte Zukunftsbox (Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende & Education Innovation Lab, Berlin), die den Prozess vor Ort unterstützen. Die Stakeholeranalyse erfasst die Bedarfe und Herausforderungen zum Thema in der Kommune. Das Webtool bietet technische Hintergrundinformationen und bildet den Ist-Zustand sowie mögliche Potenziale zur Sektorkopplung in der Kommune ab, während die Zukunftsbox für eine Gestaltungsumgebung ein methodisches Repertoire aus designbasiertem Arbeiten und Expert:innenwissen zum Thema Sektorenkopplung miteinander vereint. Ergänzt wird dies durch eine Good Governance-Analyse, die auch mögliche politische Maßnahmen, die innerhalb der Kommune ergriffen werden können, identifiziert (KIT-ITAS, Karlsruhe). Mit einem systematischen Überblick zu kommunaler Sektorkopplung und einer Strategieentwicklung innerhalb einer dreiteiligen Workshop-Serie mit den Beispielkommunen sorgt das Projekt für eine direkte Vernetzung lokaler Akteure. Die Werkzeuge erleichtern die Zusammenarbeit, fördern den Wissenstransfer und bereichern schließlich den Prozess der Entscheidungsfindung. Die Ergebnisse sollen Vorbildcharakter haben und Hilfestellungen für andere Kommunen bieten; sie leisten somit einen Beitrag zu einer „bottom-up“ getragenen Energiewende. Schließlich wollen wir uns alle zukünftig über genau den eingangs genannten Ausblick von unserem Balkon, über ein intaktes Klima und die Vielfalt der Natur vor unserer Haustür freuen.
Zum Weiterlesen:
Kern, K.; Niederhafner, S.; Rechlin, S.; Wagner, J. (2005): Kommunaler Klimaschutz in Deutschland: Handlungsoptionen, Entwicklung und Perspektiven. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) (WZB Discussion PaperUR, SP IV 2005-101).