Ökosysteme als Vorbild für industrielle Entwicklung – Widerspruch oder Vision?
Die Menschheit steht vor einer gewaltigen Herausforderung: Auf der einen Seite stehen Ressourcen nur sehr begrenzt zur Verfügung, auf der anderen Seite gilt das Paradigma wirtschaftlichen Wachstums. Hierfür benötigen wir Lösungsstrategien. Denn nur so können wir und die zukünftigen Generationen reine Luft atmen, sauberes Wasser trinken, hochwertige Nahrungsmittel essen und eine intakte Natur vorfinden, die für eine gute Lebensqualität unabdingbar sind.
Ökoindustrielle Entwicklung (englisch: Eco-Industrial Development) zeigt einen Weg auf, um dieses Dilemma aufzulösen. Wir sind überzeugt, dass sie ein Leitbild sein sollte. Doch was ist damit gemeint und wie soll das funktionieren?
Ökosysteme und industrielle Produktion - Was haben sie gemeinsam?
Der heutige Produktionsstil denkt und funktioniert seit der industriellen Revolution linear: Rohstoffe werden aus der Natur gewonnen und durch Herstellungsprozesse zu den gewünschten Produkten umgewandelt. Dann werden die Produkte verkauft, benutzt und irgendwann weggeworfen (Abb. 1). Es entsteht eine „Wegwerfwirtschaft“, welche die Umwelt enorm belastet.
Diese lineare Produktionsweise kann viel von natürlichen Ökosystemen lernen. Wolfgang Haber, deutscher Biologe und Pionier der Landschaftsökologie in Deutschland, hat Ökosysteme als „Betriebe der Natur“ beschrieben. Stoffflüsse und Organismen sind in natürlichen Ökosystemen im Gleichgewicht: Pflanzliche Organismen produzieren Biomasse, diese wird von Konsumenten (z.B. Tieren) aufgenommen und nach der Verdauung ausgeschieden. Destruenten („Zersetzer“) wie Bakterien und Pilze wandeln diese Ausscheidungen um, sodass sie von Produzenten wiederverwertet werden können. Durch diese enge Zusammenwirkung, in der Fachsprache Symbiose, entsteht eine sehr effiziente Ressourcennutzung. Reststoffe gehen nicht verloren und Stoffkreisläufe entstehen.
Symbiosen und Stoffkreisläufe - die wichtigsten Prinzipien für nachhaltige Systeme
Natürliche Ökosysteme können als Inspiration für „Industrielle Ökosysteme“ dienen. Im ersten Schritt wird der gesamte Lebenszyklus des Produktes betrachtet: von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung („Life-Cycle-Assessment“). Auf dieser Informationsgrundlage können Umwandlungs- und Produktionsprozesse so gestaltet werden, dass das Maximale an Produkt(en) mit dem Minimum von Ressourcen erzeugt wird. Gleichzeitig wird die Abfallerzeugung reduziert. Alles, was an Restoffen und überschüssiger Wärmeenergie entsteht, wird so weit wie möglich im eigenen Betrieb oder in naheliegenden Betrieben wiedereingesetzt. Darüber hinaus können Reststoffe als Rohstoffe für ganz andere Betriebe und deren Produkte dienen (industrielle Symbiose). Werden diese am Ende der Lebensdauer wieder sortenrein getrennt, können sie erneut in die Stoffkreisläufe eingeführt werden (wie beim Flaschenpfand).
Wie sieht Ökoindustrielle Entwicklung in der Praxis aus?
Der erste „Ökoindustrielle Park“ in Kalundborg (Dänemark) zeigt schon seit Jahrzehnten, wie die Industrien auf lokaler Ebene vernetzt werden können, um Energie-, Wasser- und Stoffkreisläufe zu erschaffen, die nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch wirtschaftlich rentabel sind (Abb.3).
Doch der Weg von der Grundlagenforschung bis zur Umsetzung in der Praxis ist lang und bedarf einer engen Vernetzung von wissenschaftlichen Fachdisziplinen und innovativen Unternehmen. Darum wurde das Institute of Eco-Industrial Development (IECO) vom KIT gemeinsam mit drei chilenischen Partneruniversitäten gegründet und arbeitet seit Beginn an mit strategischen Partner zusammen, wie zum Beispiel den Botschaften, Forschungsförderungseinrichtungen und der Außenhandelskammer.
Neue Wege gehen – und das KIT ist vorne mit dabei
Ein Vorzeigeprojekt dieser internationalen Kollaboration ist das Projekt BrineMine. Hier entwickeln KIT-Forscher:innen gemeinsam in einem deutsch-chilenischen Team ein System zur Mineralextraktion, Bereitstellung von Trinkwasser und Wärmegewinnung aus geothermischen Quellen. Dies zeigt eine rohstoffeffiziente Alternative zum konventionellen Lithium-Bergbau auf, bei dem Grundwasserspeicher leergepumpt werden - gerade in trockenen Gegenden ein großes Problem.
Die Verarbeitung von gemischten Kunststoffabfällen durch chemisches Recycling für neue Autobauteile, wie im Leuchtturmprojekt Kreislauf für Kunststoffe, ist ein weiteres Beispiel für eine Ökoindustrielle Entwicklung.
Das Konzept des Urban Mining and Recycling (UMAR) Experimental Unit setzt das Denken in Lebenszyklen in den Vordergrund des Designs von Wohnraum. Dank des Erfindungsgeistes des deutsch-schweizerischen Teams wird durch eine sortenrein trennbare Konstruktionsweise schon heute die Kreislaufwirtschaft in der Zukunft ermöglicht.
Fazit
Ökosysteme lehren uns, dass Nachhaltigkeit auf Grundlage von Symbiose und Stoffkreisläufen funktioniert. Für die Industrie bedeutet das: weg von einer Linearproduktion, hin zur Kreislaufwirtschaft. Damit dieses Denken in „Industriellen Ökosystemen“ Einzug hält, müssen der transdisziplinäre Austausch von Wissen und die internationale Zusammenarbeit gestärkt werden.
Dieses Ziel verfolgen wir im Institute of Eco-Industrial Development (IECO) und setzen uns so für mehr Nachhaltigkeit, den Schutz unserer Lebensgrundlage und einen optimistischen Blick in die Zukunft ein.
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