Für wen wird geforscht, an wessen Zukunft wird gedacht?
Bild: LGBTQ Communities Dialogue and Capital Pride Board Meeting Washington DC, Ted Eytan, CC BY-SA 2.0
Wie stellen Sie sich die Zukunft vor? Beziehungsweise WER ist ein Teil dieser Zukunft? Die Frage mag Ihnen komisch vorkommen, aber für die Wissenschaftskommunikation und Technikfolgenabschätzung ist sie sehr bedeutsam. Zwar werden heutzutage die Bürger:innen zu Dialogen über Gentechnik oder Klimaanpassung eingeladen, aber: Mit wem wird der Dialog darüber gesucht – und wer lässt sich darauf ein? Wie betreffen Entscheidungen verschiedene Bevölkerungsgruppen? Kurzum: An wessen Zukunft wird gedacht?
(Institutionelle) Wissenschaftskommunikation
Im Projekt „Wissenschaft für alle” haben wir einen ersten Schritt zur Erforschung des Themas unternommen. Wissenschaftskommunikation von Universitäten oder Museen erreicht oftmals vor allem bestimmte Bevölkerungsgruppen: eher wohlhabende, gebildete, weiße und männliche Personen. Das ist nicht nur problematisch, weil Menschen so von Informationen für persönliche Entscheidungen oder von Karrierewegen ausgeschlossen werden. Auch bei dialogorientierter Wissenschaftskommunikation werden ihre Stimmen nicht gehört.
Zahlreiche Faktoren können Menschen von Formaten der Wissenschaftskommunikation ausschließen. Seien es hohe Eintrittsgelder, fehlende Kinderbetreuung, ungünstige Veranstaltungszeiten, bildungsbürgerliche Verhaltensweisen oder fehlende Alltagsrelevanz.
Wissenschaftskommunikation, die ihre gesellschaftliche Bedeutung und Relevanz ernst nimmt, müsste sich dieses Problems selbstkritisch annehmen. Bisher passiert das nur wenig. Dabei gibt es bereits Vorschläge aus unserer Forschung, wie Wissenschaftskommunikation inklusiver gestaltet werden kann. Nun gilt es diese umzusetzen und gleichzeitig mehr als bisher zu erforschen, welche Kommunikationsformate neue Zielgruppen ansprechen können. Welche Chancen bieten neue Plattformen wie TikTok? Welche neuen und vielleicht auch ungewöhnlichen Kooperationspartner:innen können zur Wissenschaftskommunikation beitragen – beispielsweise Sportvereine?
Wissenschaftsjournalismus
Der Wissenschaftsjournalismus ist schon immer auf der Suche nach Zielgruppen jenseits der höher gebildeten Wissenschaftsleser:innen: Ratgeberjournalismus erreicht auch heute noch mit traditionellen Kanälen ein Millionenpublikum (wie die Apothekenumschau), oder verbreitert seine Themen und kleidet sie unterhaltend ein (zum Beispiel Galileo/Pro7, P.M. Magazin). Doch dies ist immer noch nicht geeignet, wirklich alle anzusprechen – die Leserschaft ist oft etwas einseitig. So hat beispielsweise P.M. mit fast 80 Prozent einen der höchsten Anteile an männlichen Lesern im gesamten Wissenssegment.
Die verbreitete Verunsicherung in der Bevölkerung und ein Bedürfnis nach Orientierung im Alltag ist nicht selten gewürzt mit einer Skepsis gegenüber den etablierten Medien. In diese Lücke stoßen Angebote wie maiLab oder auch Rezo. maiLab-Leiterin Mai Thi Nguyen-Kim ist gleichzeitig als Wissenschaftsjournalistin tätig und nutzt in ihren YouTube-Videos wissenschaftsjournalistische Routinen, und auch der YouTuber Rezo nennt Quellen und bezieht sich auf Studien.
Autor:innen
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technikzukünfte (ITZ), Department für Wissenschaftskommunikation. Mitarbeiter im Forschungsprojekt "Wissenschaft für alle".
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technikzukünfte (ITZ), Department für Wissenschaftskommunikation. Projektleiter von "Wissenschaft für alle".
Lehrstuhl Wissenschaftskommunikation mit dem Schwerpunkt Linguistik am Institut für Technikzukünfte, Prodekanin und Studiendekanin der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, Projektsupervision "Wissenschaft für alle".
"Wir fänden es wichtig, die Produzent:innen von Journalismus sowie ihre mediale Sichtbarkeit diverser aufzustellen."
Trotzdem befindet sich der Wissenschaftsjournalismus weiterhin „im Lernlabor” (verschärft durch die Corona-Krise). Denn auch hier könnte die stille Vorannahme herrschen, dass alles, was die Redaktion spannend findet, auch für die Nutzenden da draußen interessant sei – möglicherweise ein folgenschwerer Fehlschluss. Dafür fänden wir es auch wichtig, die Produzent:innen von Journalismus sowie ihre mediale Sichtbarkeit diverser aufzustellen.
Wissenschaft in der Popkultur
Neben den beiden vorher genannten Perspektiven bedarf auch die fiktionale Variante von Technikzukünften eines kritischen Forschungsblickes: Science-Fiction. Dabei geht es zum einen um den Ansatz, Wissenschaft über Popkultur zu vermitteln. Das wohl prominenteste Beispiel dürfte die Fernsehserie „The Big Bang Theory” sein, die vielfältig in Bezug auf Wissenschaftskommunikation diskutiert wurde.
Denn die Show reproduziert eben auch Rassismus und Stereotypen. Aus medien- und sozialwissenschaftlicher Perspektive sollte daher intensiver der Frage nachgegangen werden, welche Wissenschafts- und Zukunftsbilder Eingang in die Populärkultur finden – ein Film über die Helden von Apollo 11 oder eben einer über die „Hidden Figures”, die alles ermöglicht haben? Welche Science-Fiction-Zukünfte dienen als Inspiration für Kinder und Erwachsene?
Andererseits kann Science-Fiction selbst Leitbild für Innovationsprozesse sein und Impulse für Forschung über Zukunftsszenarien geben. Als Beispiel haben wir das selbst schon praktisch mit einem Wissenschafts-Comic-Workshop zur Zukunft von Künstlicher Photosynthese erprobt. Auch hier gilt es, künftig genauer nachzufragen, ob eine kreative Methode zur Kommunikation – ein Comic-Workshop anstatt einer Diskussionsrunde – allein genügt, neue Perspektiven und einen diverseren Bevölkerungsquerschnitt einzubinden.
Fazit
In allen drei skizzierten Bereichen besteht noch erheblicher Transformationsbedarf, wie die vielfältigen verlinkten Stimmen oben zeigen. Forscher:innen greifen das Thema zunehmend auf. Aber viel mehr noch möchten wir andere Wissenschaftler:innen ermutigen, selbst einmal kritisch nachzudenken, wer in ihre Forschung eingebunden wird, und an wessen Perspektiven Wissenschaftskommunizierende bei ihren Projekten denken.
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