Gesellschaftliche Folgen der Corona-Pandemie
„Krise wird im Chinesischen mit weiji 危机 übersetzt, Chance mit jihui 机会. Beiden gemeinsam ist also das Zeichen ji 机, das unter anderem Gelegenheit bedeutet“ (ZEIT Online, 2003)
Die Corona-Pandemie bringt bislang nicht gekannte Einschnitte in unser alltägliches Leben mit sich. Kontaktverbote, Home-Office, Reiseeinschränkungen oder die Maskenpflicht sind nur einige Beispiele hierfür. Viele soziale, wirtschaftliche, politische und auch kulturelle Folgen für unsere Gesellschaften sind bisher kaum absehbar. Daher sind viele Menschen nicht nur unsicher, wie sich ihre eigene persönliche Situation verändert, sie wollen auch wissen:
Welche Folgen hat die Corona-Krise für unsere Gesellschaft langfristig? Was kann und muss die Politik tun?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurden im Rahme des Projekts „Gesellschaftliche Folgen der Corona-Krise – eine Zeitstudie“ zwei Online-Umfragen durchgeführt. Befragt wurden Zukunftsforscher:innen, also Personen, die sich beruflich mit möglichen zukünftigen Entwicklungen befassen. In der ersten Umfragerunde 2020 sollten 21 Thesen zu möglichen Folgen der Corona-Krise nach drei Kriterien (Eintrittswahrscheinlichkeit, politische Relevanz sowie Wirkungsdauer) bewertet werden. Darüber hinaus konnten die Befragten ihre Bewertungen in einem Kommentarfeld begründen. Eine zweite Umfrage mit einer Auswahl von elf Thesen wurde im Sommer 2021 durchgeführt, um herauszufinden, ob und wie sich die Einschätzung der Expert:innen durch ein Jahr Pandemieerfahrung verändert hat. In beiden Umfragen ging es um unterschiedlichste Themenbereiche, wie zum Beispiel die Akzeptanz von Corona-Maßnahmen, Solidarität in der Gesellschaft oder die Rücknahme klimaschützender Maßnahmen durch die Corona-bedingte Rezession. Beispielhaft zeigen wir hier die Ergebnisse zu der folgenden These:
Wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschende erfahren eine gesellschaftliche Aufwertung. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Kompetenz von Wissenschaftler:innen und die Relevanz von Wissenschaft zur Lösung gesellschaftlicher Probleme werden steigen.
Das Umfrageergebnis zeigt, dass eine knappe Mehrheit (54,6 %) der Befragten annimmt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschende durch die Corona-Pandemie eine gesellschaftliche Aufwertung erfahren werden. Als Gründe dafür werden z.B. genannt, dass sich „wissenschaftliche Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie […] weniger leicht zu Glaubensfragen umetikettieren [lassen] als andere Themen“. Ein anderer Kommentar dazu lautete: „[…] Wissenschaft [war] immer Grundlage unseres Lebens, oft unbewusst (wer stellt schon infrage, sich täglich die Zähne zu putzen?), doch erst durch Corona ist dieses evidenzbasierte Handeln wieder erkennbar geworden“. Dementsprechend könnte die Tatsache, dass die Bevölkerung erstmals fast ‚live‘ über wissenschaftliche Prozesse und Erkenntnisse informiert wurde, zu einem neuen positiven Bewusstsein und einer wahrgenommenen „Relevanz von Wissenschaft“ geführt haben. Eine „gute Wissenschaftskommunikation“, die zur „Kernmethode jeglicher wissenschaftlicher Ausbildungen“ gehören sollte, sei, laut eines Kommentars, entscheidend.
45,4 % der Befragten halten jedoch andererseits eine Aufwertung der Wissenschaft durch die Corona-Pandemie für unwahrscheinlich. Diese Einschätzung begründen einige interessanterweise auch wieder mit der „Glaubensfrage“, die durch folgenden Kommentar zusammengefasst wird: „Der Wissenschaft wird eher immer weniger geglaubt. Es werden eigene Denkkonstrukte und Wahrheiten verfolgt (z.B. Impfgegner, Corona-Gegner)“. Zudem wird ein Spannungsverhältnis zwischen „rationalen Argumentationen der Wissenschaft gegenüber emotionalen Meinungen, die schnell und öffentlichkeitswirksam über digitale Kanäle veröffentlicht werden können“ wahrgenommen. Nicht überraschend war ein großes Thema in Bezug auf die These auch die Zunahme „alternativer wissenschaftlicher (Pseudo)Fakten", „fake facts“, „fake truth“ etc., welche „kein guter Nährboden für Vertrauen in Wissenschaft und Technik“ seien. Durch sie würde „die Kompetenz von Wissenschaftler:innen in Frage“ gestellt. Daher müsse in der Öffentlichkeit dem existierenden Bild eines „wahr und falsch“ von Forschung entgegengewirkt werden und verdeutlicht werden, dass „Forschung plural [sei] und Auseinandersetzung bedeute“.
Die anderen 20 Thesen beschäftigen sich mit den Auswirkungen der Corona-Krise auf gesellschaftliche Bereiche wie Gemeinwohl und Gesellschaft, Werte und Lebensstil, Wirtschaft und Politik, Digitalisierung, Sicherheit, Regulierung und Überwachung sowie Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Hier zeigte sich, unter anderem, dass die Themen Klimaschutz und Wirtschaft von den Expert:innen in ihren Argumentationen oftmals miteinander verknüpft werden. Beispielweise ist eine überwiegende Mehrheit der Zukunftsforschenden der Ansicht, dass mittelfristig diejenigen Länder und Unternehmen wirtschaftlich Erfolg haben werden, die konsequent und frühzeitig auf Klimaschutz setzen.
Ausblick
Ziel des Projektes ist es, gesellschaftliche Folgen der Pandemie abzubilden, zum Diskurs anzuregen und mögliche Zukunftsperspektiven auf Grundlage der Pandemieerfahrungen zu entwickeln. Daher sollen die Ergebnisse der Umfragen und dort geäußerte Lösungsansätze in Workshops mit Bürger:innen, Vertreter:innen der Stadt Karlsruhe und vielen anderen Akteur:innen diskutiert werden. Außerdem ist geplant, die finalen Erkenntnisse sowohl für den weiteren wissenschaftlichen Diskurs aufzubereiten als auch (politischen) Entscheider:innen zugänglich zu machen.
Zum Weiterlesen:
Autor:innen
Surya Ruff
Foto: privat
Surya Ruff studiert Soziologie und ist HiWi in der Forschungsgruppe "Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Transformation" am KIT-ITAS
Nevin Karademir
Foto: privat
Nevin Karademir studierte Pädagogik und ist HIWI in der Forschungsgruppe "Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Transformation" am KIT-ITAS
Foto: privat
Nora Weinberger ist Mitglied in der Forschungsgruppe "Gesundheit und Technisierung des Lebens" am KIT-ITAS